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Mauro Gadea wollte nichts sehen an diesem regnerischen Nachmittag.

Er schlurfte, die Augen müde auf den Boden gerichtet, die Fondamenta San Sebastian entlang, hinunter in Richtung der Fondamenta delle Zattere auf der Suche nach dem Vergehen der Zeit. Er würde noch einige Runden zu drehen haben.

Gehen und gehen.

Wie immer um diese Zeit, wollte er nur das Ende des Tages finden, um dort im Schlaf, der eine Mischung aus Rausch und Hoffnungslosigkeit war, in jene Trübnis einzutauchen, die keine Erinnerung in sich trägt, keine bleibenden Aufzeichnungen macht. Einen am nächsten Morgen wieder hinaus entlässt aus einem ausgeleerten Raum, ohne Vermerke, ohne Eintragungen.

Er wollte wie immer nichts sehen.

Hände gingen in die Richtung des anderen, ein Schattenspiel. Eine Ahnung. Er hätte es nicht einmal bemerkt. Jedoch kam er in dem Augenblick an dem Fenster vorbei und somit ins Blickfeld der beiden, drang in jenen hermetischen Raum vor, als über die ausgestreckten Hände ein Gegenstand von einer Person zur anderen ging. Die Schatten am Rand seines Gesichtsfeldes ließen ihn aufblicken.

Es war ein Reflex.

Ein Schleier lag beständig über seinem Schauen und die beiden Gesichter, die sich erschrocken ihm zuwandten, sahen aus wie ein doppelt ertappter Mond.

Schon war er diesen einen Schritt weiter und allein mit dem Geräusch seines Gehens.

Wieder angelangt in seiner Normalität.

Gehen und gehen. Hinaus ans Wasser.

Hinter dem trüben Schauen lag ein Aquarell Giudeccas und davor ließ Tonio die kleinen Vögel auf seiner mit Futter bedeckten Hand landen. Mit diesem Kunststück unterhielt er die Fremden.

Mauro nahm immer denselben Weg zurück zum Ponte dell’Accademia. Diesen fand er auch mit gesenktem Kopf.

Doch auf der Fondamenta Nani, die am Rio di San Trovaso entlang führt, an der Gondelwerft, dem Cantinone già schiavi vorbei, spürte er auf einmal die Blicke auf dem schmutzigen Rücken seines Mantels. Hörte das rhythmische Atmen, das nicht sein eigenes war und das ihn begleitete.

Sich umzudrehen brachte keine Erklärung für dieses Gefühl. Dennoch ging er eine Spur schneller.

Schaute sich immer wieder um, und hatte zu tun, nicht zu stolpern.

Er ging nicht mehr auf die Nacht zu, sondern versuchte vor etwas Unerklärlichem davon zu gehen.

In der Calle del Pistor schloss er sich einer Gruppe von Touristen an,  schlich, zufällig ihr zähes Tempo imitierend, den Rio Terà della Carità entlang und bald hatte er den Ponte erreicht, überquerte ihn erschöpft. Die Blicke und das Atmen konnte er nicht abschütteln. Er nahm jenen Weg, den er ohnehin gegangen wäre.

Wo sollte er auch hin? Er hatte ja nur sein Gehen in das Ende des Tages hinein.

Es begann stärker zu regnen und die Piazza San Marco hatte die meisten Besucher in den Bars untergebracht. Mauro verschwand kurz unter den Arkaden und wand seinen ausgepumpten Körper durch die Calle dei fabbri. Das fremde Atmen war in seines übergegangen.

Seine Lungen brannten.

In einer Mauernische drückte er sich an die Wand. Hielt seinen eigenen Atem an. Hoffte, das Fremde, das Unerklärliche, das Bedrohliche würde ihn aus den Augen verloren haben und an ihm vorüber ziehen.  


(Dieses Projekt wird erst 2016 abgeschlossen sein.)

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